Donnerstag, 27. Februar 2014

Eine Tunesierin, ihr Vater und der Feminismus

Ich habe eine Arbeitskollegin, sie arbeitet zwar in einem anderen Team, doch alle kennen sie. Sie ist "Membre" der CGT, also einer der linken Gewerkschaft und vertritt diese, ähnlich einem Betriebsratsmitglied, bei uns in der Firma. Nebenbei ist sie noch Trotzkistin, Mitglied im "Betriebsrat" und eine nette Kollegin, der man auch mal seine Probleme erzählen kann. Wir reden und diskutieren oftmals, meist auf der Heimfahrt im Zug, über Gott, die Welt, Politik, Frankreich und  Deutschland.

So kam es, dass ich die Werbung der CGT, die bei uns aushängt, kritisierte. "Keine Sonntagsarbeit" stand in großen Lettern darauf. Bei uns gibt es zwar auch Kollegen, die am Sonntag arbeiten müssen, Bereitschaftsdienst, doch diese Werbung richtete sich an Geschäfte und die neuen Öffnungszeiten am Sonntag. Es war nicht mal dieser Spruch, der mich zu einer Bemerkung veranlasste. Warum oder auch nicht, am Sonntag arbeiten?

In der Begründung hieß ein Argument, "damit Arbeitnehmer Zeit für die Familie haben". Dieser Satz störte mich, weil ich viele Väter kenne, die zwar Freizeit haben, aber die keine Zeit für die Familie haben dürfen, weil der Staat das nicht möchte.  Ich wollte zumindest versuchen das Väterthema bei ihr einmal zur Sprache zu bringen.


Ich weiß, das sie auch eingefleischte Feministin ist. Keine Betonfeministin, keine Radikalfeministin, doch das was ich als eingefleischte Feministin bezeichne. Es gibt einen Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern, es gibt Macht der Männer und es gibt Gewalt, zwar auch gegen Männer, doch meist in die andere Richtung.

Eine Strategie um ungezwungen auf dieses Thema zu kommen, wie ich den Bogen schlage, sah ich klar vor meinen Augen. Die Gesprächsführung, meine Strategie, entglitt mir jedoch zusehends, ohne dass ich Gegensteuern konnte. Denn auf einmal waren wir mitten Drin, in dem Thema, dass ich bei Arbeitskollegen ungern anspreche, Feminismus. Ein wenig Väterthemen ja, Probleme von Männern ja, aber Feminismus vermeide ich. Keine Politik auf der Arbeit und keine "Extrempositionen" vor Kollegen!

Wir wechselten Worte und Argumente rund um das Thema Väter. Dann kam er, der Satz, den ich so gerne vermieden hätte: "Es gibt doch so viele Gebiete wo Frauen benachteiligt sind, z. B. die Zwangsheirat". Ein Thema, das sie vor allem auch als Nordafrikanerin, besonders zu interessieren schien.

"Ja", sagte ich, das sei ein Problem. "Doch im Gegensatz zu den "Schockpostern" auf denen ein 70jähriger neben einem 12 Jahre alten Mädchen sitzt, sind es doch meiner Meinung nach, mind. 95% der Zwangsehen, wo dieses Thema auch Männer betrifft".

Ich führte weiter aus, dass diese Ehen zum Großteil doch ausgehandelt würden, wenn beide Kinder noch sehr jung sind. Somit müsste auch Jungen hier Schutz geboten werden. Auch Jungen müssten ermutigt werden eben nicht ihre Cousine 2ten Grades zu heiraten, sondern nein zu sagen. Zwangsheirat, so stellte ich fest, ist ein Thema für beide Geschlechter und ein Thema von dem Jungen und junge Männer gleich betroffen sind! Wir können, so schloss ich, für ein uraltes Ritual, mit dem das Erbe der Familie zusammen gehalten werden soll, nicht nur Männer verantwortlich machen. Sie unterbrach mich, wie sie es sonst bei politischen Themen tat, ausnahmsweise nicht, sie ließ mich in Ruhe ausreden. Sie schaute mich die ganze Zeit nur mit großen schwarzbraunen Augen, wie sie nur Frauen aus Nordafrika haben, an, überlegte und, als ich geendet hatte, fing sie ihrerseits eine Geschichte an.

"Weißt Du Kai, auch mein Vater sollte eine Zwangsheirat eingehen. Er wuchs in einem kleinen Dorf in Tunesien auf, die Hochzeit war schon seit Jahren beschlossen, mit einem anderen Mädchen aus dem Dorf. Er liebte sie nicht und sie liebte ihn nicht! Ausgehandelt war alles, wie es Sitte ist, mein Vater, selbst noch ein junger Mann, musste heiraten oder gehen, nein eher fliehen", so fing ihre Erzählung an.

Ihr Vater ging weg aus Tunesien, nach Italien, irgendwann landete er in Frankreich, wo er zumindest die Sprache verstand. Seine Ausbildung wurde nicht anerkannt, somit schlug er sich als Hilfsarbeiter durch. Irgendwann lernte er ihre Mutter, auch eine Tunesierin, kennen, sie heirateten, bekamen zwei Kinder. Somit wuchs meine Kollegin mit vielen Freiheiten auf, die sie in Tunesien, zumindest in der Familie ihres Vater, nie gehabt hätte. 

Irgendwann, so erzählte sie, hätte die Familie sich wieder mit dem Vater, dem einzigen Sohn, versöhnt. So lernte sie auch die Frau kennen, die der Vater heiraten sollte. Diese Frau, so sagte sie, wäre ihrem Vater so unendlich dankbar, weil sie danach den Mann heiraten konnte, den sie sich aussuchte. Auf der Ehre der Frau lag keine Schande, sie musste nicht fliehen und konnte wählen. Getroffene Absprachen waren von heute auf morgen hinfällig. Somit war diese Frau dem Vater meiner Kollegin unendlich dankbar, dass er es war der gegangen ist, dass er in ein ungewisses Leben und eine unsichere Zukunft floh, dass er seine Familie und Freunde zurück gelassen hat.

Ohne Hilfe, ohne Freunde, ohne alles, nur mit einem Seesack, in dem sich seine Wäsche und ein paar Dinge des täglichen Gebrauchs fanden. Die Frau, die er heiraten sollte hatte ein glückliches Leben, mit dem Mann der sie liebte und den sie geliebt hat. Sie übernahmen das Geschäft der Schwiegereltern, eine gemachte Zukunft, bescheiden zwar, aber mit einem gesicherten Auskommen.

Die Eltern meiner Kollegin ließen sich scheiden, aber der Vater war immer präsent, kein Konflikt, keine großen Streitigkeiten. Er verstarb sehr Jung, sie war gerade mal 25 Jahre. Für ihren Vater, so sagte sie, sei diese Flucht ein großer Kraftakt gewesen, der sicherlich auch einer der Gründe des frühen Tod war, er verstarb an einem Herzinfarkt. Ob zwischen dem Herzinfarkt und der Flucht ein Zusammenhang besteht, dass kann ich als Nichtmediziner natürlich nicht beurteilen, für sie stand es fest, zumindest in diesem kurzen Moment.

Doch, das merkte man ihr an, sie hatte ihren Vater geliebt, sie sprach mit großer Zuneigung und auch mit Stolz von ihm. Das letzte was sie sagte war, dass der Vater sein Leben lang Tunesien vermisst hatte, er aber wegen der Kinder nicht hätte zurück gehen können und wollen.

Dann fuhr der Zug in meinen Umsteigebahnhof ein, und ich musste mich verabschieden, obwohl ich das Gespräch noch gerne weitergeführt hätte. Während ich durch die Gänge lief um meinen nächsten Zug zu erreiche, sah ich wieder so ein Plakat  auf dem ein 70jähriger neben einem 12 Jahre alten Mädchen sitzt, irgendwo in in einer anderen Kultur, die mit der unseren und auch der Kulturen des westlichen Islam so wenig zu tun hat. Die Bildunterschrift lautete "Es ist nicht ihr Großvater, er ist ihr Ehemann!" Ich wusste es besser, zumindest ein wenig... 

PS:
Wer Interesse hat, es war das Foto des Jahres 2007 von Unicef. Dieses NICHT GESTELLTE Foto eines Brautpaares wurde in Frankreich eine Info-Aktion mit oben beschriebener Bildunterschrift durchgeführt. Das Foto ist hier zu sehen.Diesem Foto, das sehr gut für sich spricht, gibt es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Diese Vorgehensweise der Zwangsheirat eines 11 jährigen Mädchens mit einem 40 Jahre alten Mann ist natürlich Menschenverachtend! Wohingegen die meisten Zwangsehen jedoch auch Jungen betreffen. Deshalb wird es dieses Foto leider auch nie zum Unicef Foto des Jahres schaffen. Da das CR für diese Fotos ungeklärt ist, habe ich mich entschlossen sie als Link einzubinden.

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